Re:Arbeiten und Leben in Polen
von Border am 31.05.16 um 10:10
Antwort auf: Arbeiten und Leben in Polen von Singler

>Moin,
>
>ich hab ein Jobangebot aus Polen... ist hier jemand (oder kennt jemanden), der weiß, wie es ist, als Ausländer in Polen zu arbeiten? Vor allem in Hinblick auf (Kranken-)Versicherungen, Lebenshaltungskosten etc?

Meine Frau ist gebürtige Polin. Sie kam zwar im Säuglingsalter mit Ihrer Familie nach Deutschland, aber es besteht immer noch Familienkontakt und daher weiß sie auch ein paar Dinge über den polnischen Arbeitsmarkt und etwas vom Drumherum. Ihr wurde - da sie die Sprache mehr oder weniger flüssig spricht - dort mal ein Job als Bestatterin angeboten.

Hinweis: Die Infos sind 4-5 Jahre alt... ich weiß also nicht, ob das alles noch aktuell ist.

Der polnische Arbeitsmarkt wirkt auf den ersten Blick vielversprechend. Genau wie in Deutschland, gibt es aber auch in Polen schwarze Schafe, die versuchen, alles irgendwie hintenrum, inoffiziell,unter der Hand und nebenbei zu organisieren. Daher: alles schriftlich vereinbaren. Nicht enthaltene, wichtige Passagen in den Arbeitsvertrag einfügen lassen. Bestenfalls den Arbeitsvertrag (sollte er nur auf polnisch sein) von einem zertifizierten Amtsübersetzer übersetzen lassen und genau studieren.

In der Regel funktioniert das gesetzliche Versichertenwesen wie in Deutschland auch. Als Arbeitnehmer bist du gesetzlich Pflichtversichert, hast die freie Wahl und bekommst die Prämie direkt vom Gehalt abgezogen. Privatversicherungen gibt es auch. Die sind in der Regel aber sehr viel teurer. Nicht so wie hier, wo es auch mal umgekehrt sein kann.
Im Behandlungsfall unbedingt und bestenfalls schriftlich mit der Krankenkasse klären, ob die Kosten übernommen werden. Es kommt wohl immer wieder vor, dass plötzlich Rechnungen bezahlt werden sollen, weil die Krankenkasse angeblich die Leistungen nicht inklusive hat. Auch bei Ärzten sollte man immer sicher sein, dass es sich nicht um Privatärzte handelt. Die Ärzte in Polen wittern nicht selten das schnelle Geld und informieren dich _nach_ der Behandlung über die oft hohen Kosten.

Grundsätzlich unterscheidet sich das Leben in Polen nicht unbedingt vom Leben in Deutschland. Es gibt schöne Städte und Ecken, es gibt aber auch regelrecht verlebte und verarmte Gebiete, wo es je Dorf nur ein Auto gibt, das aus dem Jahr 1068 stammt. Die Region Oberschlesien ist eher vergleichbar mit dem Ruhrgebiet. Arbeitervolk, Handwerk, Kohle, Proleten. So viel zu den Vorurteilen, die auch auf Schalke oder Castrop zutreffen :)
Lebensmitteltechnisch muss man sich etwas umstellen. Die Polen essen extrem deftig und extrem süß. Leider beides weniger qualitativ. Essen als Mittel zum Zweck. Genussmittelkönig sind sie nicht. Die polnischen Süßigkeiten (egal ob Schokoladengedöns oder Gummizeugs) ähneln optisch und geschmacklich eher dem, was in Deutschland bei Resterampen als NoName Süßigkeit verkauft wird. Es gibt aber durchaus Menschen, die tierisch drauf abfahren.
Essen... also im Sinne von Gekochtem... kann sehr lecker sein, muss es aber nicht. In Polen gibt es noch viele traditionelle Gerichte, die man in Deutschland nur während des Kriegs oder kurz danach kannte. Auf der anderen Seite gibt es auch einige wirklich leckere Dinge.

Urlaubsgelegenheiten darf man auch erwähnen. Man mag nicht glauben, die schön es in manchen Orten in Nordpolen ist. Da ist der deutsche Ostseestrand ziemlich abgeschlagen.

Die Sprache wirst du übrigens nicht lernen. Vergiss es. Ich spreche nach 8 Jahren 5 Worte polnisch. Grammatik und Wortvergewaltigung sind der Horror.

Ach ja: da du ja türkischer (?) Abstammung bist: es gibt in Polen nicht gerade wenige Fremdenfeinde. Kaum zu vergleichen mit den Holzköpfen aus Freital oder den Freizeitglatzen bei NPD Umzügen. Die Typen da sind Hardliner und verdammt gefährliche Gesellen. Du solltest dich also vielleicht nicht unbedingt in einer ländlicheren Gegend niederlassen. Genau wie in Deutschland wird die politische Gesinnung vom Grad der Dummheit geprägt und auf dem Land fehlt es oft an weiterführenden Bildungseinrichtungen.

Und das Wichtigste: Kurva! Merk dir das Wort. Offiziell bedeutet es so viel wie Schlampe, Fotze, Hure...
Für die Polen ist das aber so etwas wie "und" oder "oder" oder "deswegen" geworden. Als würde ein Deutscher so was sagen wie: "Ich bin gestern Fotze durch die Stadt gefahren Fotze und Fooooootze musste voll fotzenstark Bremsen weil so eine fotzige Fotzenfotze mir vor mein Fotzenauto gefotzt ist, verfotzt noch mal, Fotze!"
Und das ist KEIN Witz. Hör bei Gelegenheit mal kurz nach Feierabend zwei polnischen Handwerkern zu. Ich muss immer grinsen, wenn ich im Supermarkt an irgendeiner Kasse stehe und den Exemplaren begegne.

Unterm Strich: Polen ist nicht sehr weit entfernt von Deutschland - die Systeme ähneln sich. Die Spuren des Sozialismus' sind hier und da noch nicht verzogen, Extreme jeglicher Art hier sind oft noch extremer dort. Du kannst dort gut leben und gut versorgt sein, solltest aber immer aufpassen, wer dir was genau andrehen möchte, weil die Chancen gut stehen, von jedem 5. über den Tisch gezogen zu werden. Ich war zweimal dort. Fand ich OK. Nicht schäbig, nicht überkriminell, nicht großartig... aber es gibt definitiv Schlimmeres. Arbeiten würde ich dort nicht wollen. Slawische Sprache machen Gehirn bläääärgh.

< antworten >