Re:Ich weiss nicht ob ich darüber lachen oder weinen soll....
von Border am 30.04.21 um 09:40
Antwort auf: Ich weiss nicht ob ich darüber lachen oder weinen soll.... von Goran

>Wie kann denn SOWAS zustandekommen ?
>https://www.golem.de/news/bundestagswahl-2021-buerger-sehen-hoechste-digitalkompetenz-bei-cdu-und-csu-2104-156141.html
>
>Die Neuland Partei? DIE Partei die unter Digitalisierung die anlasslose Vorratsdatenspeicherung versteht und die totale Überwachung als Konzept zur inneren Sicherheit?
>DIE Partei die noch getöhnt hat es wird keine Uploadfilter geben und ja jetzt... nunja dafür kann doch keiner was wenn es aus Brüssel kommt...
>
>Ich bin grad so erschüttert das ich nichtmal die Webseite von diesen Institut besuchen mag um mir das näher anzusehen.

Ja, auf den ersten Blick erschütternd und ein lautes Lachen konnte ich mir auch nicht verkneifen. Aber dann kam mir folgender Gedanke: eine Folgestudie wäre interessant, in der man mal bei den selben Befragten abklopft, was überhaupt Digitalisierung ist.

Fragst du fünf Menschen, bekommst du fünf verschiedene Antworten. Ich bin beruflich im Großraum Finanzwirtschaft unterwegs - nicht _in_ der Branche, sondern _für_ die Branche im Rahmen von unterstützenden Software-Produkten/Systemen. Die Digitalisierung wird hier an allen Ecke und Enden regelrecht vermieden. Nicht, weil beispielsweise die Banken nicht Bock drauf hätten - im Gegenteil: die Vorstände werden jünger, die Generation X übernimmt langsam. Es ist die allgemeine Regulatorik aus Berlin und Brüssel, die das Ganze verhindert. Die Banken sind teilweise dermaßen frustriert, dass sie für jeden Scheiß seitenweise Dokumentationen schreiben müssen für Dinge, die über eine Automatisierung oder Digitalisierung komplett abseits manueller Tätigkeiten laufen würden. Ein Beispiel: Legitimationen. Bedeutet: der Kunde kommt in die Bank, schließt ein Geschäft ab und zur Legitimation wird beispielsweise sein Ausweis gescannt (und in der Folge später im Backoffice geprüft). Dieser Prozess darf per Aufsichtsbehörde (die liebe BaFin) nicht automatisiert werden. Es gibt Software, die den Prozess mit dem Scannen des Dokuments vollständig automatisiert. Wird in etlichen Branchen eingesetzt und international ist das seit mehr als 10 Jahren langweiliger Standard - die Banken hierzulande dürfen das aber nicht. Warum nicht? Weil es noch niemanden gab, der der entsprechenden Lobby erklärt hat, was man alles geiles mit digitalisierten Legitimierungsdaten tun könnte. Sobald das jemand verstanden hat, wird das erlaubt - mmw!

Man kann ja mal zu ING, BNP oder Santander rüberschauen. Die lachen die deutschen Standorte aus. Oder die Auslegung der EU-DSGVO. Gestern erst ein langes Datenschutz-Audit abgeschlossen. Da werden Dinge besprochen, die mag man angesichts der Fortschritte in anderen Ländern einfach nicht glauben.

Es ist nicht so, dass Deutschland bei der Digitalisierung hinterher hängt. Wie haben verdammt noch mal noch nicht mal richtig angefangen! Was wir hier Digitalisierung nennen, ist vielleicht der Beginn einer mehr oder weniger starken Entbürokratisierung, aber mit Digitalisierung hat das absolut nichts zu tun. Und wenn du einem Prozess begegnest, der so gut, sicher und reibungslos abläuft, ist er ganz sicher nicht aus Deutschland oder unterliegt keinen deutschen/europäischen Gesetzen. Hierzulande findet man es fortschrittlich, dass man sich im Rahmen eines Kredits oder Finanzierung per Video-Chat legitimieren lassen kann. Frag mal einen Betrugspräventions-Experten, wie innovativ das ist. Das ist ein absoluter Rückschritt und eine offene Tür für Betrüger. Aber der Deutsche ist ja simpel gestrickt: es ist im Internet, es ist ein Video, es muss Digitalisierung sein. Wow, wir sind echt im Fortschritt unterwegs. Am Arsch - das sind wir!

Zum Thema: welcher Partei traue ich eine erfolgreiche Digitalisierung zu? Gar keiner! Was ich seit 5-10 Jahren in der deutschen Politiklandschaft erlebe ist der blanke Hohn. Milliardenprojekte, die in den Sand gesetzt und so vertuscht werden, dass der öffentlich bekannte Schuldige weiterhin im Amt ist. Lobby-Mafia galore und die persönliche Bereicherung in Krisenzeiten im Amt eines Volksvertreters. Und es gibt tatsächlich welche, die es wagen, die Korruption in anderen Ländern anzuprangern. Was mir in diesem Land fehlt ist Kompetenz im Amt. Wo eine saarländische Politik- und Rechtswissenschaftlerin Verteidigungsministerin wird oder ein anderer mit demselben Fach Gesundheitsminister. Und dann werden in diesem Land ausgewiesene, ausgezeichnete, fachlich versierte Experten kritisiert, bedroht und belächelt - siehe Karl Lauterbach. Ich bin seit der Ära Schröder kein Fan der SPD, aber ich bin ein großer Fan von Karl Lauterbach. Wenn die Medien ihn nicht dauernd zum Mahn-Onkel degradieren würden, würden seine Aussagen vielleicht hin und wieder Gewicht erhalten. Mir fehlt in den Ämtern einfach die fachliche Kompetenz. Und dieses Vakuum wird dann durch hunderte Millionen an Beratungshonoraren ausgeglichen. Das kann doch so einfach nicht sein! Dreihundervierundvierzigmillionen (!) Euro Beratungskosten der Bundesregierung? Dieses System funktioniert einfach nicht. Nah am Bürger, nah an der Basis? Wo? Nah am Bankkonto und dem Machterhalt. Auf Links und Rechts darf man ohnehin nicht gucken, wenn man nicht im Strahl kotzen will.

Digitalisierung: die glückt, wenn es einen Marschplan gibt. Wenn man aufhört, die Kohle der Bürger in der Toilette runterzuspülen und infrastrukturell verdiente Fachleute ans Werk lässt. Kaum ein Gesetzesbeschluss der letzten Jahre war nah am echten Leben. Der Kontakt zum Bürger ist verlorengegangen und gleichzeitig hat der Bürger den Anschluss verloren, was mich zurück zum Anfang bringt: was ist denn genau Digitalisierung? Frag doch mal die Bürger. Fünf Befragte, fünf verschiedene Antworten. Wir Bürger machen es doch mittlerweile genauso, wie die Regierung es uns seit beinahe zwei Jahrzehnten vorlebt: aussitzen. Wird schon irgendwie klappen.

Vielleicht könnten wir ja für den Anfang die Insolvenzanträge und -verfahren digitalisieren. Ab Mai werden wir das dringend brauchen.

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